Backstage-Solidarität

 
 

Was hinter der Bühne vor sich geht, wenn eine Gruppe Dragkünstler*innen aufeinandertreffen, darüber gibt es gewiss einige Vorstellungen in den Köpfen der Leute. Ich habe das Gefühl, viele glaubten, dass da rumgezickt werde, was das Zeug hält. Dass da die Gelnägel-Krallen ausgefahren, die schnippischsten Bissigkeiten ausgepackt würden und man sich vielleicht sogar schonungslos die Perücken um die Ohren hauen täte. Das Klischee: Jede stehe sich selbst am nächsten und warte nur darauf, der Konkurrentin eine reinzubremsen. Ein zänkischer Hühnerhaufen ohne jeglichen Gemeinsinn.

Ich habe das allerdings nie so erlebt. Klar, der eine oder andere süffisante Spruch kommt einem schon mal über die überschminkten Lippen. Und manchmal nervt man sich auch etwas über seine Drag-Genoss*innen, die sich gar zu sehr vor den Spiegeln breit gemacht haben. Manche von den anderen mag man lieber, auf manche könnte man zuweilen auch verzichten. Aber trotzdem erlebe ich hinter der Bühne meistens vor allem etwas: Solidarität. Man gibt sich gegenseitig Tipps, wie man die Frisur am besten aufhübscht, man feiert einen besonders gelungenen Auftritt einer Kollegin oder freut sich über die Erfolge der anderen. Man bespricht gegenseitig die geplanten Shows, warnt vor schlechten Arbeitsbedingungen oder empfiehlt eine Kollegin weiter, wenn man einer Anfrage absagen muss. Die Unterschiede, die es gibt – und von denen gibt es bei der Vielfalt in der Drag-Szene einige – spielen keine Rolle mehr. Wir wissen: Als Drag-Künstler*innen, als Teil der queeren Community, sind wir trotzdem immer noch eine Minderheit. Gemeinsam sind wir stärker, als alleine und wenn wir etwas erreichen wollen, dann müssen wir zusammenhalten.

Oft denke ich mir, dass uns allen so eine «Backstage-Solidarität» für den Alltag ganz guttun würde. Denn unsere Community steht unter Druck. Mit dem erschreckenden Machtwechsel in den USA, den ausser Rand und Band geratenen Tech-Giganten und dem Vormarsch rechtsextremer Parteien in Europa braut sich ein gefährlicher Sturm zusammen. Und manchmal kommt es mir so vor, als wären wir nur damit beschäftigt, uns in der Community die Schuld für den Backlash gegenseitig in die Stöckelschuhe schieben. So heisst es (etwas überspitzt) auf der einen Seite: Schuld sei übertriebener «Woke-ismus» – und auf der anderen Seite: Schuld seien die biederen Schwulen, die bei einer Grossbank oder der Polizei arbeiteten. Und gewiss gibt es in unserer Community einige Dinge, die problematisch sind. Einige Unterschiede, die unüberbrückbar scheinen. Und einige Leute, die (gelinde gesagt) seltsame Haltungen vertreten. Aber manchmal sollten wir vielleicht eher auf jene Dinge schauen, die uns verbinden, anstatt nach dem zu suchen, was uns trennt. Ich weiss, das ist oft leichter gesagt, als getan. Aber glauben Sie mir – wenn mir sogar für die schlechteste Drag-Show noch ein Kompliment einfällt, dann können wir in der Community uns auch ein wenig zusammenraufen, um uns gegen den Backlash von rechts zu wappnen.

Tobias Urech