Kleiderordnung und Badenfahrt

 
 

Ich bin ja in meinem anderen Leben Historikerin. Darum, liebe Leserin, lieber Leser, entschuldige ich mich schon im voraus fürs den Infoblock. Ich hoffe, er ist – wenn nicht spannend – wenigstens lehrreich:

In der frühen Neuzeit gab es in fast jeder Stadt Europas Gesetze, die regelten, wie sich die Leute zu kleiden hatten. Damit wollte man die Stände und Geschlechter der Menschen sichtbar machen. So war klar festgelegt, was sich für Frauen schickte und welche Männer was anziehen mussten. Und natürlich ging es auch darum, präventiv gegen die Todsünde Prunksucht vorzugehen. Nicht, dass sich jemand zu prächtig anzöge. Wo käme man da hin?

In den reformierten Orten, darunter Schaffhausen, waren diese Kleiderordnungen ziemlich streng. Im ebenfalls reformierten Zürich wollten die Damen und auch Herren der reichen Gesellschaft dies aber nicht einfach so hinnehmen. Schliesslich gab es zu viele hübsche Stoffe und extravaganten Schmuck, den man tragen konnte. Also setzte man sich  an schönen Tagen in die Kutsche und fuhr ins nahe Baden, seines Zeichens das nächste katholische Städtchen an der Limmat. Im katholischen Kurort nämlich waren die Kleiderordnungen längst nicht so streng wie bei den Zwinglianern und man konnte ungestört «Unziemliches» Spazieren tragen. Mit diesen Ausflügen wurde der Begriff Badenfahrt geboren.

Meine ganz persönliche Badenfahrt erlebe ich immer, wenn ich mich für einen meiner Auftritte in Drag schmeisse. Normalerweise wird von mir verlangt, dass meine Kleidung auch meinem Geschlecht entspricht. Und manchmal bekomme ich schon für allzu bunte Socken schräge Blicke. Eine richtige Kleiderordnung! Aber an jenen Abenden, wenn ich ironischerweise viel ausgestellter bin als in meinem Alltag, darf ich einfach ausbrechen. Das ist magisch! Ich trage die schönsten, kitschigsten Glitzerkleider und den pompösesten Schmuck, den man sich vorstellen kann. Und wenn mein Ausbruch, meine «Badenfahrt» wieder vorbei ist, freue ich mich natürlich schon wieder, dass die Schuhe von Tobi um einiges bequemer sind und in meinem Gesicht keine Unmengen Make-up kleben. Aber manchmal, wenn ich genug mutig bin, «bschiesse» ich und lasse Tobi etwas mitnehmen von seiner «Badenfahrt». Dann bleiben meine Nägel goldig lackiert. Oder ich lackiere sie, auch ohne einen Auftritt zu haben. Denn ich gefalle mir damit. Und dann stören mich die schrägen Blicke auch viel weniger. Ob es noch andere gibt als nur mich, die gerne mal in die Kleidung des anderen Geschlechts schlüpfen würden…?

«Warum dürfen Frauen eigentlich Hosen tragen, Männer aber keine Kleider?», hat mich mal jemand gefragt. Die Antwort ist simpel: Weil die Frauen dafür gekämpft haben! Vielleicht sollten wir Männer auch mal dafür kämpfen ein Kleid zu tragen. Und für mehr «Badenfahrten».

Mona Gamie